Jugendbildungsmittel in Brandenburg radikal kürzen? - Bitteschön!

Eine Polemik mit analytischen Ansätzen.

Jugendliche und junge Erwachsene setzen sich mit Gesellschaft und Politik auseinander, unabhängig davon, ob dieser Prozess gesellschaftlich bewußt gestaltet wird oder nicht. Dieser Vorgang ist ein Bildungsprozess, der sowohl passiv als politische Sozialisation im weitesten Sinne verläuft als auch einen aktiven individuellen Lernprozess beinhaltet.

An beide Momente hat bisher die außerschulische Jugendbildung angeknüpft. Mit der Förderung von Lernräumen und Sozialisationsinstanzen im Freizeitbereich Jugendlicher wurden sowohl der Rahmen als auch zu Teilen die Inhalte politischer Bildung durch Förderichtlinien staatlich mitbestimmt.

Andererseits konnten Jugendliche durch Gründung eigener Jugendgruppen, über selbstorganisierte Projekte oder Initiativen und begrenzter durch Mitwirkung in Jugendverbänden, weitgehend selbstbestimmt Einfluss auf die Art und Weise sowie thematische Ausrichtung der Erarbeitung von Gesellschaft und politischem Verständnis ausüben.
Dass klingt nicht schlecht, war aber gewiss von einem Dialog mit den staatlichen Förderern über die Förderbedingungen, der ein beidseitiges Lernen beinhaltet und eine selbstbestimmte Verwendung der materiellen Bildungs(Förder)mittel durch die Lernenden einschließt, immer noch weit entfernt. Aber immerhin.

Bei genauerem Hinterfragen wird auch schnell klar, dass in der Lebensphase Jugend ganz selbstverständlich eine kritische und abgrenzende Haltung zu den vorgefundenen politischen Strukturen und gesellschaftlichen Verhältnissen der Elterngeneration eingenommen wird.
Diese Kritik orientierte sich in der Regel in ihrer Bewertung des gesellschaftlich Vorgefundenen an den unmittelbar zugänglichen Erklärungsmustern und politischen Strömungen, wenn diese gesellschaftlich repräsentiert sind und durch Jugendliche wahrgenommen werden können. Das ist eine Frage der Form. (Lange Zeit, teilweise bis heute, ist man davon ausgegangen diese jugendgemäße Form über pluralistisch-paritätisch beteiligte Jugendverbände gewährleisten zu können. Ein Irrweg in Zeiten neoliberaler Staatsverschlankung und akutem Bindungsverlust traditioneller Politikformen.)

Welcher Kanon an Haltungen und Werten sich bei jungen Menschen durchsetzt und verstetigt, eventuell hegemonial wird, hängt auch stark (nicht nur!) von den Ressourcen ab, die den Repräsentanten der jeweiligen politischen Ideen zur Verfügung stehen.
Und damit sind wir beim entscheidenen Punkt: Wem wird perspektivisch in Brandenburg die Stichwortgebung für die politische Sozialistation Jugendlicher überantwortet?

Wenn es keine gesellschaftlich diskutierte und ressoucenstark bestimmte Jugendbildung außerhalb der autoritären Erziehungsinstanzen wie Schule und Elternhaus gibt, dann bleiben nur noch der freie Wirtschaftsmarkt, moralisierende Appelle an Vernunft und/oder schlicht Reperession als regulierende Instanz für politische Sozialisationsprozesse und politisches Lernen Jugendlicher.

Das scheint gewollt. Denn der derzeitige Weg der politischen Eliten aus CDU und SPD ist die außerschulische Jugendbildung quasi auf Null wegzukürzen oder, ein kleiner Ausweg für willige Opportunisten aus dem Landesjugendring, diese Ressourcen zwingend an Schule zu binden!

Auch hier ein "Bitte schön!": Die Effekte lassen sich recht einfach voraussagen, denn Jugend politisiert sich aktiv dort, wo sie sich gegen die sie beherrschenden Verhältnisse freimachen kann, Selbstständigkeit gewinnt und die Erfahrung politischer Relevanz erlebt.
Na, und dann gucken wir uns doch mal um im Lande: Nichts liegt da augenblicklich näher als die öffentlich ach so geächtete rechtsradikale Kameradschaft, welche die soziale Lage "nationaler junger Menschen" thematisiert (Anti-HartzIV-Proteste) und die herrschenden politischen Eliten angreift. Diese Angriffe geschehen "hautnah" vor Ort, z.B. dann, wenn politische VerantwortungsträgerInnen Aufrufe zur Zivilcourage ernst nehmen und sich aktivieren, genauso aber auch auf agitatorischer Ebene, wenn die parteizänkelnden Koalitionen auf Landesebene thematisert werden.

Warum profitiert nun ausgerechnet die rechtsradiakle Szenerie?
Weil gerade in Brandenburg der Aufbau und die Förderung alternativer Strukturen einer glaubwürdigen nicht-rechten und antirassistischen Jugendkultur und -bildung nie substantiell stattgefunden haben. Da haben die selbstgemalten und aufgeblasenen Schreckgespenster von "Autonomen" und "Linksextremismus" ihre Wirkung getan, trotz "Rot-Grün-Bundes-Anständigen-Sommer-2000".

Chancen zu einer Besinnung im Rahmen der Jugendförderung waren spätestens seit 1997, dem Erkennen des Handlungsbedarfes zur Errettung des Wirtschaftsstandortes und dem Eröffnen des Handlungskonzeptes "Tolerantes Brandenburg" da. Statt dessen wurde munter weiter in die westimportierte, politisch, lokal und jugendkulturell nicht verankerte Verbandsförderung investiert, die in der Regel die Mittel für den strukturellen Selbsterhalt benötigte.
Kleiner Exkurs: Mittel in Höhe von hunderttausenden (!) Euro flossen in Nonsensprojekte wie dem "Jugendserver", iniziiert vom MBJS und der Stiftung Demokratische Jugend. Ein selbstkritischer Blick ließe die Macher erkennen, dass jede Internetseite einer kleinen lokalen Antifa da ein vielfaches an Zugriffen hat und tatsächlich weit mehr über jugendliches politisches Selbstverständnis entscheidet als dieses verwaltungsintern systematisch überinterpretierte "Partizipations-Projekt".

Parallel dazu haben sich im Land Brandenburg, im strukturschwachen Nordwesten und -osten, im infrastrukturell abgeschnittenen Süden sowie im berlinnahen "Speckgürtel" (quasi überall), zahlreich rechtsradikale Kameradschaften organisiert und Netzwerke aufgebaut die nicht nur dem staatlichen Repressionsdruck ausreichend gewachsen sind (und eventuell von den Repressionsorganen wie VS sogar finanziert werden).

Diese Kameradschaften haben sich neuerdings mit finanzkräftigeren Parteistrukturen wie der NPD und DVU arrangiert und gleichzeitig eine sich wirtschaftlich selbsttragende Kleingewerbestruktur geschaffen, bestehend aus Musikbusiness und textilem rechtsradikalen Merchandising, wodurch Arbeitsplätze für Kader entstehen und finanzielle Ressoucen aquiriert werden. Seit Jahren betreiben diese Strukturen eine mal mehr, mal weniger professionelle Jugend(bildungs)arbeit - authentisch und sozial verankert. Im Kameradschaftsmilieu schließlich verbinden sich erlebnisorientierte Aktionen mit inhaltlich ausreichenden Welterklärungsmustern und sozialer Selbstvergewisserung, die hin und wieder Formen sozialer und politischer Solidarität annimmt. Das bloße Ausbuhen "freier Nationaler" durch LehrerInnen, Zivilgesellschafter und Polizei machts dabei zu oft noch attraktiver, weil authentischer.

Nicht sehr ermutigent. Aber Teil der Realitäten in Brandenburg.
Und die Pläne der Verantwortlichen aus Politik und Jugendförderung? Welche Analysen und Strategien mögen ihrem o.g. Handeln wohl zugrunde liegen? Auch dies ist Teil einer peinlichen Realität in Brandenburg.

Aber immerhin mit Unterhaltungswert (ganz anders als bei den Neonazis):
Denn schließlich sind wir doch alle mal gespannt und beobachten äußerst interessiert, wie die zukünftige Schule mit ihrem Jugendverbandsnachmittagsprogramm und die rechtsradikalen Stichwortgeber gegeneinander um die wenigen Jugendlichen im Land wetteifern.

Außerschulische Jugendbildung wegkürzen! Viel Spaß uns allen!