Aktion Noteingang - ein Indikator für Zunahme rechtsextremistischer Bedrohung?

Der rassistische Angriff auf Ermyas M. vom April zeigt noch einmal deutlich, wie brutal und selbstverständlich Neonazis und Rassisten in Brandenburg agieren. Das ist Alltag und gehört für viele Beobachter aus dem In- und Ausland irgendwie zu Brandenburg dazu: Und das seit 1990 - als dieses Bundesland aus der Taufe gehoben wurde.

Warum dann dieser Aufschrei - ist denn seit 16 Jahren nicht alles so wie immer?
Ja und nein. Eine neue Qualität zeigt sich in der Reaktion der Bürgerinnen und Bürger und der politisch Verantwortlichen der Stadt Potsdam, die aus den Bemühungen um Sensibilisierung gegenüber Rechtsextremismus und Rassismus der letzten Jahre gelernt zu haben scheinen. Wahrscheinlich wird es der Stadt Potsdam tatsächlich gelingen, den rassistischen Tätern zu signalisieren: Wir stehen nicht hinter euch! Wir verabscheuen eure Tat!

Als Brandenburger Netzwerk antirassistischer Initiativen wissen wir sehr genau, wie wenig selbstverständlich dieses eindeutige Positionieren eines Bürgermeisters ist, wie selten sich Geschäftseinrichtungen, Jugendprojekte oder Abgeordnete gegen Rassismus zu Wort melden. Wir wissen aber auch wie wichtig solche Positionierungen sind.

Genau darum hat vor nunmehr sieben Jahren die landesweite Initiative "Aktion Noteingang" gekämpft und bundesweite Ausstrahlung gewonnen. Die gesellschaftliche Mitte sollte sich durch den Aufkleber solidarisch zeigen mit den Betroffenen rassistischer Gewalt und darüber hinaus gezwungen werden, sich eindeutig von den neonazistisch agierenden Bürgerinnen und Bürgern ihrer Städte abzugrenzen. Das ist mit sehr unterschiedlichem Erfolg gelungen.

Die mehr als zehn Initiatven in Orten wie Schwedt, Frankfurt/Oder oder Bernau hatten 2001 die Kampagne eingestellt. Das Ziel alltäglichen Rassismus in Brandenburger Kommunen diskutierbar und politisch angreifbar zu machen, sowie auf den Zusammenhang von Rassismus in der Mitte der Gesellschaft und den Gewaltexzessen der Neonazis hinzuweisen, wurde aus unserer Sicht erreicht. Die Gewalt und auch das rassistische Potential waren damit noch lange nicht beseitigt.
Immerhin legte auch das Land Brandenburg, getrieben von der Sorge um den Wirtschaftsstandort, ein Handlungskonzept "Tolerantes Brandenburg" auf. Auch ein zivilgesellschaftliches Aktionsbündnis gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus gründete sich auf Landesebene und zog viele kommunale Netzwerkgründungen nach sich. Die Bundesregierung reagierte mit den Sonderprogrammen Entimon und Civitas, welche zivilgesellschaftliches Engagement und Jugendaktivitäten gegen Rechtsextremismus und Gewalt fördern sollten.

Eigentlich alles in Ordnung und auf dem richtigen Gleis - oder?

Nein: Seit einigen Monaten häufen sich wieder die Anfragen nach der Aktion Noteingang. Viele Einzelpersonen und Institutionen erkundigen sich derzeit, ob und wie man sich an der Aktion beteiligen oder diese selbst durchführen kann.
Eine Zunahme, die uns an die Zeit kurz nach der Verleihung des Aachener Friedenspreises 2000 erinnert.

Es sind sehr unterschiedliche Personen: eben erst jetzt engagierte Mütter, die erleben mussten wie ihre jugendlichen Kinder von Neonazis angegriffen wurden, couragierte Taxifahrer, Jugendeinrichtungen oder auch Inhaber von Geschäftsläden. Von ihnen wird bestätigt, dass Bedrohungen durch neofaschistische Strukturen, wenn man sie wahrnehmen will, spürbar sind. Es existiert eine Stimmung der latenten Gefahr und bei weiten Teilen der Brandenburger allerdings ebenso eine stoische Ignoranz. Eine Haltung von "die Polizei macht das schon" bis hin zu "es kümmert sich schon jemand" schlägt den neu aktivierten BürgerInnen oftmals entgegen, auch ausgelöst durch die Beruhigungsmitteilungen und Erfolgsmeldungen der Schönbohmschen Innenpolitik.

Allen, die sich mit der Thematik beschäftigen, ist allerdings klar: wir sind noch lange nicht am Ziel eines angstfreien, gewaltlosen und solidarischen Brandenburg angekommen. Selbst die immer wieder bemühte Brandenburger Toleranz und Gastfreundlichkeit sind eindeutig medial inszenierte Floskeln statt gelebte Realität. Trotz hoher Repression, schneller Verurteilungen und Sonderpolizei (Mega/ Tomeg) haben sich neofaschistische Strukturen entwickelt und sind Rassismus und Antisemitismus fester Bestandteil Brandenburger (Jugend)kultur.

Wir benötigen mehr denn je umfassende Möglichkeiten für junge BrandenburgerInnen eine nichtrassistische und antifaschistische Alternative kulturell und sozial zu leben. Notwendig sind Räume und Ressourcen, die jungen Menschen die Chance geben, sich zu bilden, Kultur zu entwickeln und sich mit Politik und Gesellschaft produktiv auseinanderzusetzen. Es gilt aus der erlebten Brandenburger Einöde eine lebende Region zu entwickeln. Auch dafür wäre das Potential vorhanden - wir, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen des DJB-Netzwerkes und der Initiative "Aktion Noteingang" sind der seit mehr als 16 Jahren existierende Beweis. Trotz neofaschistischer Anfeindungen und nunmehr staatlicher Nicht-Förderung.

Aber genau für diese Potentiale werden im Land Brandenburg die Vorraussetzungen systematisch zerstört. Das DJB und das Antirassistische Jugendbündnis "Aktion Noteingang" beobachten mit Sorge wie über Jahre hinweg der Landesjugendplan (das Förderinstrument der außerschulischen Jugendbildung) soweit gekürzt wurde, dass er heute nur noch ein Fortbestehen weniger Jugendverbände unterhalb des Existenzniveaus finanziert - aber gewiss keine trägerfinanzierende und flächendeckende Jugendbildung qualitativ sichert. Just eine Woche vor dem Angriff auf Ermyas M. erhielt das DJB und damit alle in ihm enthaltenen Initiativen wie Bildungsoffensive und Aktion Noteingang, ihre letzte Kürzung -auch Bildungsseminare gibt es jetzt nicht mehr- und erhält ab diesem Jahr keinerlei Förderung durch das Land Brandenburg. Kürzungen die intern auch immer wieder damit legitimiert wurden, dass es ja Sonderprogramme gegen Rechtsextremismus gibt, auf die bei Jugendbildungsaktivitäten ausgewichen werden kann. Diese werden von wechselnden Bundesregierungen immer wieder in Frage gestellt und erhalten keinen festen Haushaltstitel. Gleichzeitig sollen eben diese Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus um die Aspekte von "Links- und Ausländerextremismus" erweitert werden - eine völlige Verkennung der Relation und fehlgehender Populismus von "Großen Koalitionen". Ebenso unproduktiv ist die Diffarmierung des lobenswerten Engagements von antirassistischen Jugendlichen, welches zu oft zu "Links-Rechts-Auseinandersetzungen" pauschalisiert wird. Dies soll den Eindruck eines Streits zwischen Jugendgangs vermitteln, verleugnet jedoch den schwerwiegenden politischen Hintergrund.

Wenn jetzt die Betroffenheit wieder größer und ein Handlungsbedarf erkannt wird, dann müssen mehrere Forderungen wiederholt auf die Tagesordnung:
-Die Erfahrungen der Aktiven in antifaschistischen lokalen Initiativen ernst nehmen, diese fördern und so als Gesellschaft von ihnen profitieren.
-Keinen weiteren Ausbau der polizeilicher Repressionsmittel gegen Jugendliche, die i.d.R. eine Einschränkung von Freiheitsrechten bedeuten und kaum die politischen Probleme Rechtsextremismus und Rassismus in ihrer Spezifik treffen.
-Großzügige materielle und ideelle Förderung von außerschulischer Jugendbildung und antifaschistischer Jugendkultur in allen Regionen Brandenburgs.